PN 91 – Folgen der erfolgreichen Anfechtung von Hausgeldabrechnungen in der WEG

Urteil vom 10. Juli 2020 – V ZR 178/19

Amtlicher Leitsatz:

Werden die Einzelabrechnungen einer Jahresabrechnung im Beschlussanfechtungsverfahren hinsichtlich einzelner Positionen für ungültig erklärt, erfasst dies zwangsläufig auch die in den Einzelabrechnungen ausgewiesenen (positiven oder negativen) Abrechnungsspitzen; es kommt nicht darauf an, ob dies im Urteilstenor explizit ausgesprochen worden ist.

Wird die Jahresabrechnung insgesamt oder teilweise für ungültig erklärt, können einzelne Wohnungseigentümer nicht die Rückzahlung der Abrechnungsspitze im Wege eines Bereicherungsausgleichs beanspruchen; vielmehr steht ihnen ein Anspruch gegen den Verwalter auf Erstellung einer neuen Jahresabrechnung für das betroffene Jahr zu, und von den übrigen Wohnungseigentümern können sie die Beschlussfassung hierüber verlangen. Dieser „Vorrang der Jahresabrechnung“ gilt auch dann, wenn zwischen der Zahlung und der erneuten Beschlussfassung ein Eigentumswechsel stattfindet.

Wird ein Beschluss, der Beitragspflichten der Wohnungseigentümer im Sinne von § 16 Abs. 2 WEG begründet, rechtskräftig für ungültig erklärt, tritt diese Wirkung zwar insofern ex tunc ein, als feststeht, dass die Beschlussfassung nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach; der Schuldgrund und damit der Verzug des säumigen Wohnungseigentümers entfällt aber erst durch den Eintritt der Rechtskraft des Urteils, mit dem der Beschlussanfechtungsklage stattgegeben wird, so dass bis dahin entstandene Verzugsschäden weiterhin ersetzt werden müssen.

Zum Sachverhalt:

Die Beschlussfassung in einer Wohnungseigentümergemeinschaft zur Sanierung des Daches wird von einem der Miteigentümer angefochten. Bevor das Amtsgericht über die Anfechtungsklage entscheidet, verurteilt es den anfechtenden Miteigentümer, zum einen die in der Einzelabrechnung zu seinen Lasten ausgewiesene Abrechnungsspitze (die quasi den Vorschuss auf die Sanierungskosten mit saldiert), zum anderen die durch den Verzug des klagenden Miteigentümers mit der Zahlung der Abrechnungsspitze entstandenen Kosten und Zinsen zu erstatten. Das Amtsgericht gibt dieser Zahlungsklage recht. Nach Verurteilung zur Zahlung und erfolgter Zahlung (auf Vollstreckungsandrohung hin) durch den jetzigen Kläger wird auf seine Beschlussanfechtungsklage hin der Beschluss über die Jahresabrechnung betreffend die Dachsanierungskosten aufgehoben. Der Kläger verlangt nun von der Wohnungseigentümergemeinschaft die von ihm geleistete Zahlung auf die Abrechnungsspitze seiner Einzelabrechnung, in der letztlich auch der Vorschuss auf die Instandsetzungskosten steckt, sowie die Rückzahlung der von ihm geleisteten Verzugskosten. Das Berufungsgericht (Landgericht München) hat ihm im Hinblick auf seine Zahlungsansprüche im wesentlichen Recht gegeben. Vor dem BGH hingegen hatte er keinen Erfolg:

Begründung:

Der BGH hat zum einen den Anspruch auf Rückzahlung der Abrechnungsspitze zurückgewiesen. Zwar werde ein Beschluss einer WEG mit Wirkung ex tunc, also bezogen auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung, als ungültig angesehen, wenn er rechtskräftig für ungültig erklärt wird. Auch wenn man unterstelle, dass sich eine solche Beschlussanfechtung im Hinblick auf Einzelpositionen der Hausgeldabrechnung auf die jeweils zulasten der einzelnen Miteigentümer ausgewiesene Abrechnungsspitze auswirke, führe dies nicht dazu, dass dem einzelnen Miteigentümer in einem solchen Fall ein Bereicherungsanspruch gegenüber der WEG zustehen. Der BGH entscheidet die bisher umstrittene Frage, ob ein solcher bereicherungsrechtlicher Ausgleich zu erfolgen hat, dahingehend, dass vorrangig auf die Abrechnungskompetenz der WEG abgestellt wird. Er verweist insoweit auf die h.M. zum „Vorrang des Innenausgleichs“ in dem Sinne, dass der Ausgleich zwischen den Wohnungseigentümern im Abrechnungssystem der WEG stattzufinden habe.

Die bisherige Gegenauffassung stellte darauf ab, dass dieser sogenannte Vorrang des Innenausgleichs seit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft überholt sei. Man müsse den einzelnen Wohnungseigentümer nicht mehr auf die Jahresabrechnung verweisen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht hierzu noch dahingehend argumentiert, dass der Verweis auf die Jahresabrechnung für den einzelnen Miteigentümer, der die von ihm zu viel bezahlte Abrechnungsspitze zurückfordern möchte, die Rechtsdurchsetzung erheblich und unangemessen erschwere.

Der BGH entscheidet sich dennoch dafür, den Bereicherungsausgleich nicht zuzulassen. Dieser könne sich nur auf die Abrechnungsspitze der Einzelabrechnung beziehen, nicht aber auf den Anteil des einzelnen Miteigentümers an dem angefochtenen Gegenstand der Beschlussfassung (vorliegend also Dachsanierungskosten). Ein auf eine Abrechnungsspitze bezogener Bereicherungsanspruch scheide aber schon deswegen aus, weil die letztlich im Vordergrund stehende fehlerhafte Verteilung der Kosten für eine Einzelposition nicht auf dem Wege des Bereicherungsausgleichs behoben werden kann. In der Abrechnungsspitze stecken ja nicht nur die Positionen aus dem angefochtenen Beschlussgegenstand, sondern zahlreiche andere Kostenpositionen. Letztlich werden mit der Hausgeldabrechnung in der WEG ja sämtliche Einnahmen und Ausgaben verrechnet, sodass allein eine bereicherungsrechtliche Klärung bezüglich einer nach Anfechtung als ungerechtfertigt erscheinenden Zahlung auf die Abrechnungsspitze nicht zielführend ist. Insbesondere müsste ein Ausgleich dann ja auch gegenüber den übrigen Miteigentümern dadurch stattfinden, dass im Verhältnis zu sämtlichen einzelnen Miteigentümern eine Abrechnung der Abrechnungsspitze zu erfolgen hätte, was dann zwar die übrigen Miteigentümer wirtschaftlich dem anfechtenden Eigentümer gleichstellen, weiterhin aber nichts an der Tatsache ändern würde, dass es an einer zutreffenden Verteilung der Kosten für die als ungültig erklärte Einzelposition (hier Dachsanierung) fehlt. Das Problem müsse laut BGH also dort behoben werden, wo es entstanden ist, nämlich durch eine fehlerfreie Abrechnung über die im Wege der Anfechtungsklage aufgehobene Einzelpositionen. Zur fehlerfreien Abrechnung seien alle Wohnungseigentümer verpflichtet.

Der BGH stellt nochmals in den Vordergrund, dass es in Fällen wie dem vorliegenden nicht um eine Rückzahlung gehe, sondern um eine fehlerfreie Abrechnung für das betroffene Abrechnungsjahr. Einziger Weg zu einer derartigen Korrektur ist eine erneute Beschlussfassung mit fehlerfreier Verteilung der Kosten für die Einzelposition Dachsanierung. Es ergeben sich dann letztlich für die einzelnen Miteigentümer neue Abrechnungsspitzen oder Guthaben, die die Wohnungseigentümergemeinschaft dann entsprechend nachfordern oder ausgleichen müsste. Laut BGH genießt somit die Jahresabrechnung gemäß § 28 Abs. 3 WEG allgemein Vorrang. Wird sie insgesamt oder teilweise für ungültig erklärt, können einzelne Wohnungseigentümer nicht die Rückzahlung der Abrechnungsspitze durch Bereicherungsausgleich beanspruchen, vielmehr sind sie auf den Weg verwiesen, die Erstellung einer neuen Jahresabrechnung durchzusetzen, bisher ein Anspruch gegen den Verwalter, nach dem neuen WEG wohl ein Anspruch gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft. Von den übrigen Wohnungseigentümern kann jedenfalls die Beschlussfassung hierüber verlangt werden.

Zu Recht weist der BGH darauf hin, dass einzelne Ausgleiche zwischen einzelnen Miteigentümern und sozusagen dem Hausgeldkonto nichts daran ändern, dass nach einer Anfechtung der Jahresabrechnung die Abrechnungsgrundlage gegenüber allen Miteigentümern fehlerhaft geworden ist und korrigiert werden muss. Auch das Argument, dass der Vorrang der Jahresabrechnung gegebenenfalls im Rahmen von Eigentumswechseln unbillige Folgen haben könnte, wird vom BGH zurückgewiesen. Etwaige Konsequenzen aus solchen laufenden Beschlussanfechtungsverfahren müssten im Rahmen der Veräußerung gegebenenfalls vertraglich geregelt werden, es gelte ansonsten wie immer das sogenannte Fälligkeitsprinzip. Es könne im Übrigen gar keine Rede davon sein, dass der Vorrang der Jahresabrechnung den Justizgewährungsanspruch des einzelnen Miteigentümers gefährde. Schon im Ausgangspunkt müsse ein einzelner Miteigentümer, wenn er davon ausgehe, dass die Abrechnung ihm gegenüber fehlerhaft ist, anfechten, ansonsten der Beschluss bestandskräftig wird. Nichts anderes gelte dann für die Frage, wie die Korrektur stattzufinden hat. Diese muss der einzelne Miteigentümer dann gegebenenfalls gegenüber den übrigen Miteigentümern (zukünftig wohl gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer) durchsetzen, indem er seinen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung geltend macht und verlangt, dass ein ordnungsgemäßer und fehlerfreier Abrechnungsbeschluss zustande kommt.

Schon vom praktischen her ist der Auffassung des BGH zu folgen, weil ansonsten ja damit zu rechnen wäre, dass alle möglichen Bereicherungsklagen einzelner Miteigentümer hin und her gehen und die WEG am Ende kaum noch organisierbar wäre. Im Übrigen wäre es auch wirtschaftlich für die WEG ein möglicherweise riskantes Ergebnis, wenn sie letztlich allen Miteigentümern Abrechnungsspitzen, die von diesen bezahlt worden sind, im Wege des Bereicherungsausgleichs zurückzahlen müsste.

Interessant ist auch die Begründung des BGH, dass der Kläger im vorliegenden Fall die Verzugskosten nicht zurückerstattet bekommt. Ein Beschluss sei solange gültig, als er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt worden ist. Eine Zahlungspflicht entfalle erst, wenn die Jahresabrechnung rechtskräftig für ungültig erklärt worden ist, dann allerdings mit Wirkung ex tunc. Bis zur Ungültigerklärung bleibt die Jahresabrechnung auch die Grundlage für die Forderung der WEG gegenüber den einzelnen Miteigentümern. Der BGH verneint daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine Rückwirkung der Anfechtung rückwirkend auch die Verzugsfolgen entfallen lasse. Vielmehr bleibe der Beschluss solange, bis er aufgehoben ist, die Grundlage für die Forderung. Bis zur Aufhebung des Beschlusses entstandene Verzugsschäden seien daher weiterhin zu ersetzen. Der BGH stellt in diesem Zusammenhang auch den Grundsatz in den Vordergrund, wonach die Miteigentümer zur Ausstattung der WEG mit ausreichender Finanzierung verpflichtet sein (§ 16 Abs. 2 WEG).

Praxishinweise:

Für das neue WEG, das ab 01.12.2020 in Kraft tritt, werden sich im Zusammenhang mit dieser Entscheidung teilweise andere Gesichtspunkte ergeben. Insbesondere wird zukünftig nicht mehr nach einem Anspruch des einzelnen Miteigentümers gegenüber den übrigen Miteigentümern auf ordnungsgemäße Verwaltung gefragt, ein solcher Anspruch besteht zukünftig nur noch im Verhältnis zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Im Übrigen dürfte auch unter Geltung des neuen Rechts (siehe § 28 Abs. 2 neues WEG) die Entscheidung des BGH Geltung beanspruchen, weil zukünftig der Beschlussgegenstand der Jahresabrechnung ausdrücklich auf die „Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse“ bezogen ist, worüber der Verwalter jeweils eine Jahresabrechnung über den Wirtschaftsplan zu erstellen hat. Damit wird deutlich, dass auch künftig sicherlich die Rückabwicklung solcher aufgrund fehlerhafter Beschlüsse geleisteter Hausgeldspitzen nicht im Wege des individuellen Bereicherungsausgleichs erfolgen wird.

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