PN 55 – BGH zu sog. „Vollständigkeitsklauseln“

Urteil vom 03.03.2021 – XII ZR 92/19

Amtlicher Leitsatz:

Zur Bedeutung einer Vollständigkeitsklausel (hier: „Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“) in einem Mietvertrag (hier über Geschäftsräume)

Zum Sachverhalt:

In einem Mietvertrag (über Geschäftsräume) fand sich die Klausel:

㤠14 Sonstiges

  1. Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.
  2. Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden.“

In dem Rechtsstreit hat die beklagte Mieterin unter Zeugenbeweis vorgetragen, der Vermieter habe ihr vor Mietbeginn bestimmte bauliche Standards (bzgl. einer Verglasung) versprochen; wegen deren Nichteinhaltung hatte die Mieterin gemindert und es ging nun letztlich um die Rechtmäßigkeit der Minderung. Da die Thematik der Verglasung nicht im Mietvertrag aufgenommen war, wurde die Frage relevant, ob die Klausel in § 14 Ziff. 1 des Mietvertrags zulässig ist. Auch wenn dieses Urteil zu einem Gewerberaummietvertrag ergangen ist, ist es vollständig auf das Wohnraummietrecht übertragbar. Auch in Wohnraummietverträgen werden solche Vollständigkeitsklauseln fast durchgängig verwendet.

Die Entscheidung:

Der BGH hält an seiner Rechtsprechung (übrigens auch der des VIII. Zivilsenats, der fürs Wohnraummietrecht zuständig ist) fest, wonach solche Klauseln lediglich die ohnehin eingreifende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der schriftlichen Vertragsurkunde wiedergeben. Demjenigen, der sich auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufen will, müssen sie aber den Gegenbeweis offenlassen. Eine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden kann solchen Klauseln nicht entnommen werden, auch nicht, dass Verhandlungen zwischen den Parteien vor Abschluss eines schriftlichen Vertrags keinerlei Bedeutung mehr haben dürften. AGB-rechtlich wäre so etwas spätestens als Beweislastumkehr-Regelung unzulässig. Ohne weitere Feststellungen zum tatsächlichen Willen der Vertragsparteien sei einer solchen Klausel auch nicht zu entnehmen, dass die Parteien mit dem schriftlichen Vertrag von ihren vorvertraglichen mündlichen Vereinbarungen abrücken wollten. Es müsse im Einzelfall durch Prüfung des Willens beider Parteien ermittelt werden, ob sie mit Abschluss des schriftlichen Vertrags solche nicht formal in den Vertrag aufgenommenen Vereinbarungen bzw. Zusagen in Wegfall bringen wollten. Auch die Schriftformklausel in § 14 Ziff. 2 half dem klagenden Vermieter nicht, weil sie sich ja nur auf nachfolgende Änderungsvereinbarung beziehen konnte

Praxishinweise:

Solche „Vollständigkeitsklauseln“ werden immer wieder verwendet. Man sollte sich dadurch aber nicht in Sicherheit wiegen. Gerade bei Gewerberaummietverträgen von längerer Dauer ist immer an das Schriftformerfordernis des § 550 BGB zu denken. Alles, was nach dem Willen der Parteien Gegenstand der vertraglichen Einigung sein soll, muss daher unbedingt im Vertrag Erwähnung finden. Heilungsklauseln helfen nicht einmal, solche Unterlassungen nachträglich geheilt zu bekommen. Im Wohnraummietrecht gewinnen vor allem Beschaffenheitsvereinbarungen bzgl. der Mietsache, die außerhalb der Vertragsurkunde getroffen wurden, immer wieder erhebliche Bedeutung. Hier sollten sowohl Vermieter als auch Mieter auf der Hut sein, klar im Vertrag zu regeln, was denn eigentlich gelten soll. Also: Ggf. solche Klauseln wie § 14 aus dem Streitfall weiter verwenden, aber den Inhalt aller Vereinbarungen vollständig im schriftlichen Vertrag aufnehmen!

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