PN 12 – Editorial „Falsche Datenflut?“ erscheint in Ausgabe 1/21 der Fachzeitschrift „IMMO PROFESSIONAL“ des IVD Süd

Das neue Portal Scoperty wirbt mit Bewertungen/Schätzwerten von Immobilien, aber die Ergebnisse sind teilweise schaurig.

Vor kurzem ist Scoperty gestartet, eine neue Plattform, auf der man quasi auf dem Dach jedes Hauses dessen Preis ablesen kann. Eine schöne Sache auf Basis einer schönen Google Earth Ansicht – meint man zunächst einmal. Doch wer an der schönen Darstellung ein wenig kratzt, wird schnell enttäuscht, aber der Reihe nach.

Scoperty ist an den amerikanischen Immobilienportal-Primus Zillow angelehnt, der mit Zestimate eine ähnliche Funktion betreibt, wobei auch Zestimate schon relativ lange am Markt ist, was der Treffsicherheit etwas zugutekommt. Dennoch sind die Zestimate-Werte in der US-Immobilienwirtschaft sehr umstritten. Für große Belustigung in der Branche und in den Gazetten sorgte etwa 2016 als das Haus des Zillow CEOs Spencer Rascoff deutlich weniger erlöste als Zestimate in Aussicht gestellt hatte. Und zwar beachtliche 40%, weshalb dann spöttisch von „Zestimiss“ (mit „miss“ wie „verfehlen“) die Rede war.

Aber zurück nach Deutschland, zurück zu Scoperty. Ich gebe meine Heimatgemeinde Eichenau bei Fürstenfeldbruck ein. Knapp 12.000 Einwohner, 20 km westlich von München, S-Bahn-Fahrzeit zum Hauptbahnhof 22 Minuten, also eine Gemeinde inmitten des Münchner Speckgürtels. Auffällig ist auf den ersten Blick, dass sehr viele Einfamilienhäuser mit Höchstpreis unter 1 Mio. € auf ihrem Dach erscheinen, obwohl Interessenten für Häuser die traurige Erfahrung machen, dass das Leben hier eher bei 1,5 Mio. € oder darüber spielt.

Aber manchmal muss man gar nicht so weit blicken und so blicke ich aus meinem Bürofenster auf das benachbarte Einfamilienhaus in der Joseph-Haydn-Straße 8. Hier ist zunächst die riesige Preisspanne auffällig – das Haus soll zwischen 670.000 und 1.004.000 € wert sein, also wenn man Scoperty glaubt. Als „Schätzwert im Mittel“ gibt das Portal 837.000 € aus. Leider – zumindest für die Scoperty-Treffsicherheit – wurde das Haus im Sommer für knapp 1,5 Mio. € angeboten und mit einem gewissen Abschlag letztendlich verkauft. Schon diese riesige Abweichung ist irritierend, aber es kommt noch schlimmer: Die Wohnfläche wird mit 155 m² angegeben, der seriöse IVD-Kollege, der den Verkauf vermittelte, hatte 187 m² errechnet. Aber das ist noch längst nicht alles. Als Baujahr wird 1965 genannt, in Wirklichkeit wurde es – ich habe es selbst im Bau gesehen – knapp 40 Jahre später, in den Jahren 2004/2005 gebaut. Bei anderen Häusern in der kurzen Straße ist es übrigens nicht viel besser: Bei einem irrt sich Scoperty um 30 Jahre.

Am Anfang der Straße liegt dann noch ein etwas angejahrtes Haus auf einem riesigen Grundstück. Scoperty nennt wieder eine üppige Preisspanne von 839.000 – 1.259.000 €. Wenn man allein die Grundstückspreise betrachtet und die Abrisskosten berücksichtigt, wäre selbst der Höchstpreis ein sensationelles Schnäppchen, um das Bauträger wilde Bieterwettbewerbe durchführen würden. Vielleicht würde sich sogar der eine oder andere vor dem Hintergrund des Preises Gedanken über die Geschäftsfähigkeit eines Verkäufers machen, wobei ich mir auch in einer Notsituation niemand vorstellen kann, der zu diesem Preis verkaufen würde. Blicke ich aus meinem anderen Fenster sehe ich das Einfamilienhaus Carl-Orff-Straße 8. Auch hier wird das Baujahr um kernige 20 Jahre verfehlt und es erscheint eine viel zu niedrige Wohnfläche. Für den lächerlich niedrigen „Schätzwert im Mittel“ von 868.000 € gibt es bestenfalls eine betagte Doppelhaushälfte auf deutlich weniger Grund.

Wenn man sich weiterklickt, liest man, dass Scoperty das, was unter der Überschrift „Bewertung deiner Immobilie“ erscheint, auf Basis von extrem kargen „9 % Vollständigkeit der Angaben“ erstellt hat. Daher fragt man sich fast zwangsläufig, ob es seriös ist bei derart erklärungsbedürftigen und teuren Produkten wie einer Immobilie, bei denen letztendlich jedes Objekt ein Unikat ist, bei dem es u.a. im hohen Maße auf die Lage, den Gebäudezustand, Baurechtsreserven wie auch die spezifische Rechtssituation ankommt, auf einer derart armseligen Informationsbasis eine „Bewertung“ abzugeben. Das Wort „Bewertung“ signalisiert einen sehr hohen Qualitätsstandard, dem die erwähnten Beispiele leider bei weitem nicht gerecht werden, insofern verwendet Scoperty dann unten in viel kleineren Lettern das Wort „Schätzwert“, aber auch eine Schätzung mit derartigen fulminanten Abweichungen ist mehr als bedenklich.

Und dann wurde in den letzten 3 Monaten in der etwa 900 m entfernten Herbststr. ein Haus mit dem Scoperty-Höchstpreis von 1.166.000 € für 1.449.000 € angeboten und nur minimal darunter verkauft. Scoperty ging vom Baujahr 1985 aus, nun ja es war 2008, aber was sind schon 23 Jahre im Angesicht der Ewigkeit und dann macht es auch einen Unterschied, wenn es nicht 143 m², sondern 160 m² sind. Muss man mehr sagen? Hier höre ich lieber auf.

Scoperty bietet die Option „Schätzwert verbessern“, was auch irgendwie notwendig ist. Das Portal schreibt hierzu: „Es ist wichtig, dass der Eigentümer einer Immobilie die Inputparameter seiner Immobilie prüft und ggf. korrigiert.“ Ich frage mich, und das werden sich viele fragen, warum sollte er Interesse haben, hier Scoperty-Fehler zu reparieren? Höchstens wenn er verkaufen will.

Daneben erscheint die Info „Analysiere, beobachte und verkaufe deine Immobilie“ und hier wird deutlich, was neben Baufinanzierungen eine der Hauptstoßrichtungen des Portals ist: eine erkleckliche Zahl von Leads zu generieren und diese dann zu lukrativen Preisen an Immobilienmakler zu verkaufen.

Mein persönliches – zugegeben hartes, aber notwendiges – Fazit: Scoperty ist im Moment keine große Hilfe, es verwirrt mehr, als dass es nützt. Käufer oder Verkäufer, die sich nicht auskennen, werden sich trotz zarter Warnhinweise in einer völligen Scheinsicherheit wiegen. Und die Verantwortlichen sollten erkennen, dass aus 9 oder gar nur 7% (!) „Vollständigkeit der Angaben“, eben sehr schnell eine 100% falsche Zahl entsteht. Ich habe derzeit massive Zweifel dran, dass sich angesichts der unzähligen relevanten Variablen, ihrer sehr unterschiedlichen Interdependenzen und dem relativ schlechten Zugang zu den Ausgangsdaten einer Bewertung ein vernünftiger Algorithmus entwickeln lässt. Mit den oben exemplarisch dargestellten Fehlern hätte Scoperty noch nicht freigeschaltet werden sollen und wer eine schöne Google-Maps- oder -Earth-Ansicht will, der ist mit dem Original, bei dem nicht in jedem Dach irgendwelche Zahlen erscheinen, deutlich besser aufgehoben und bei einer Wertermittlung definitiv bei einem Immobilienspezialisten.

Viele Grüße,

Ihr Prof. Stephan Kippes

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