Auch in konjunkturell schwachen Zeiten fanden sich neue Mieter für die Geschäftskernlagen; Zukunft der Signa-Immobilien ungewiss.
Rosenstraße, Kaufingerstraße und Sendlinger Straße weisen im Jahresvergleich das höchste Kommen und Gehen von Läden auf.
Das Marktforschungsinstitut des IVD Süd e.V. hat die Einzelhandelsfluktuation in zwölf Münchener 1a- und 1b-Einzelhandelslagen untersucht. „Im Untersuchungszeitraum Herbst 2022 zu 2023 waren die Unsicherheiten infolge des Ukraine-Kriegs sowie die hohe Inflation allgegenwärtig. Massive Preissteigerungen trafen Händler, Gastronomen und Verbraucher gleichermaßen und dämpften die Konsumlaune auch im Herbst 2023 spürbar“, beschreibt Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts, das Stimmungsbild am deutschen Retail-Markt. „Auf der einen Seite fanden sich auch in diesem schwierigen Marktumfeld prominente neue Mieter am Top-Standort München ein, auf der anderen Seite führte die konjunkturelle Schwächephase viele Händler in die Krise. Ein zentrales Thema am Münchner Gewerbeimmobilienmarkt ist derweil aber der Bau- bzw. Planungsstopp sämtlicher Signa-Projekte. Die inzwischen angemeldete Insolvenz des Signa-Konzerns könnte für die Innenstadt längerfristige Baustopps und sehr unschöne Dauerbaustellen zur Folge haben, die speziell deshalb schlimm sind, weil sie allerbeste Einzelhandelslagen mit einer hohen Lauffrequenz betreffen.“
Für die hohe Attraktivität der Münchner Einkaufslagen ist v.a. die hohe Passanten-Frequenz, die sich zu beachtlichen Teilen auch aus auswärtigen Gästen zusammensetzt, ausschlaggebend. Sowohl die Passanten- als auch die Tourismuszahlen befanden sich im bisherigen Jahr 2023 auf einem hohen Niveau, wie man es zuletzt aus der Vor-Corona-Zeit kannte.
Kam es während der Pandemie auch in den Münchner Top-Lagen zu länger anhaltenden Leerständen, so ist die Nachfrage nach Ladenflächen danach wieder gestiegen. Trotz eines stark gewachsenen Online-Handels kann der stationäre Handel seine Stärken ausspielen: Zahlreiche Kunden legen weiterhin großen Wert auf die persönliche Beratung sowie das Einkaufserlebnis vor Ort mit Produkten zum Anfassen. Innenstädte mit einer hohen Aufenthaltsqualität und umfangreichen Einzelhandels- und Gastronomieangeboten ziehen die Menschen nach wie vor an.
Das Beispiel H&M zeigt, dass auch große Händler diesem Trend folgen und parallel zum Online-Geschäft, insbesondere an den Top-Standorten, weiter auf das Ladengeschäft setzen. In den vergangenen Jahren schloss die schwedische Mode-marke weltweit zahlreiche Filialen, so u.a. auch in München. Ende November 2023, am Black Friday, hat der Konzern nun in der Kaufingerstraße einen seiner größten deutschen Stores mit einer Verkaufsfläche von knapp 4.000 m² eröffnet.
Andere große Händler, insbesondere in der Bekleidungsbranche, werden die konjunkturelle Schwächephase hingegen nicht überwinden. Das Münchner Modeunternehmen Hallhuber musste im Sommer 2023 Insolvenz anmelden. Ende Oktober schlossen die letzten Filialen, so u.a. am Marienplatz und in der Kaufingerstraße. Vor der Insolvenz betrieb Hallhuber allein in Deutschland rd. 100 Geschäfte, 18 davon im Großraum München. Im Herbst 2023 hat die Modekette Peter Hahn Insolvenz angemeldet; die Münchner Filiale am Rindermarkt bleibt nach derzeitigem Stand zumindest vorerst geöffnet.
Große Unsicherheiten gibt es derweil auch in Bezug auf die Münchner Signa-Projekte. Der österreichische Immobilieninvestor René Benko hat sich bereits vor wenigen Wochen aus der Unternehmensführung zurückgezogen, Ende November folgte schließlich der Insolvenzantrag der Signa Holding, dem Mutterkonzern des Benko-Imperiums. In den vergangenen Jahren hatte die Signa Gruppe auch in der bayerischen Landeshauptstadt mehrere Filetgrundstücke erworben. Die inflationsbedingte Zinswende sorgte in den letzten Monaten jedoch zunehmend für Liquiditätsprobleme, da zumeist mit einem hohen Leverage, das heißt einem hohen Fremdkapitalanteil, gearbeitet wurde. Über sämtliche Münchner Bauvorhaben wurde nun ein Bau- bzw. Planungsstopp verhängt; die im Bestand befindlichen Immobilien bzw. Flächen stehen zum Verkauf.
Bereits vor dem Mutterkonzern hatte u.a. die deutsche Tochter Signa Real Estate Management Germany GmbH, in der die wertvollsten Bestandsimmobilien wie die Alte Akademie sowie das Kaufhaus Oberpollinger in München gehalten werden, Insolvenz angemeldet. Auch der Münchner Sportartikelhändler Sport Scheck hat inzwischen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Im Zuge des Zusammenbruches der Signa Gruppe steht ebenso der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof, der noch immer mehrere Kaufhäuser u.a. am Marienplatz, am Rotkreuzplatz und in Schwabing betreibt, vor einer erneut ungewissen Zukunft. Nach bereits zwei Insolvenzen sollte Signa hier in den kommenden Jahren laut Insolvenzplan große finanzielle Mittel zur Sanierung einbringen – nach der Zahlungsunfähigkeit der Holding dürfte dies nun vom Tisch sein. Es ist zu befürchten, dass weitere Signa-Tochtergesellschaften in die Insolvenz folgen werden.
„Es drohen längerfristig stillstehende Baustellen bzw. leerstehende Immobilien, die die Attraktivität der jeweiligen Lagen spürbar dämpfen und somit auch die umliegenden Mieter treffen würden. Nach dem finanziellen Scheitern der Signa-Gruppe dürfte es längere Zeit dauern, bis die Eigentumsverhältnisse neu sortiert sind; dann werden die Projekte auf den Prüfstand kommen und unter Umständen grundlegend umgeplant, was alles zeitaufwendig ist“, glaubt Prof. Stephan Kippes.
Der Signa-Konzern ist auch eng mit dem Schicksal des ehemaligen Kaufhof-Gebäudes in der Sonnenstraße am Stachus verbunden. Unter dem Namen Lovecraft wollte sich hier für die kommenden Jahre ein Zwischennutzungskonzept mit Kunst, Kultur Sport und Gastronomie anmieten. Der Betreiber löste nun den Vertrag auf. Angesichts der drohenden längerfristigen Leerstände sowie Dauerbaustellen im Zuge der Signa-Insolvenz ist es um so bedauerlicher, wenn nun auch ein sinnvolles Zwischennutzungskonzept scheitert.
Die in der aktuellen Studie vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer Vor-Ort-Sichtung des Ladenbesatzes in den Münchner 1a- und 1b-Einzelhandelslagen, die im Herbst 2023 stattfand. Die IVD-Fluktuationsquote gibt den Anteil der Veränderungen gemessen an der jeweiligen Gesamtzahl der Läden wieder, der im langfristigen Zeitraum 2005/2006 zu 2023 bzw. in den beiden Jahresvergleichen 2021 zu 2022 und 2022 zu 2023 registriert wurde.
In der Sendlinger Straße kam es im langfristigen Vergleich 2005/2006 zu 2023 bei einer Fluktuationsquote von 80 % zu zahlreichen Bewegungen im Ladenbesatz. Trotz der Schaffung einer Fußgängerzone bis Ende 2019, die die inzwischen beliebte Einkaufsstraße spürbar aufwertete, liegt das Passanten-Aufkommen weiterhin deutlich hinter den großen Münchner Einkaufsmeilen. In der aktuellen Betrachtung wies die Sendlinger Straße – in absoluten Zahlen gemessen – erneut die meisten Bewegungen auf. Bei einem Bestand von 86 Läden lag die Fluktuationsquote im Herbstvergleich 2022 zu 2023 bei 15 %.
Das dänische Modelabel Samsøe & Samsøe eröffnete Ende August 2023 einen Flagship-Store in der Sendlinger Straße und setzte somit seinen Expansionskurs in Deutschland fort. Zusätzlich kamen als neue Mieter u.a. das Kölner Start-up Cinnamood mit seinen Zimtschnecken sowie der Süßwaren-Konzern Haribo hinzu. Ihre örtlichen Filialen geschlossen haben u.a. die beiden Kosmetikgeschäfte Rituals und Lush. Beide Unternehmen sind jedoch weiterhin in München vertreten: Rituals betreibt mehrere Läden, u.a. in der Kaufingerstraße, in der Theatinerstraße sowie am Karlsplatz; Lush empfängt die Kundschaft in seinem europaweit zweitgrößten Store ebenfalls in der Kaufingerstraße. Auch Starbucks hat mit der Schließung des Standorts in der Sendlinger Straße eine seiner Münchner Filialen aufgegeben. Ende November 2023 bezog das US-amerikanische Einrichtungshaus RH (Restoration Hardware) die Räumlichkeiten, in denen bis vor wenigen Jahren das Bekleidungslabel Abercrombie & Fitch beheimatet war (fließt noch nicht in die aktuelle Analyse mit ein).
Die Neuhauser Straße sowie die Kaufingerstraße, die vom Karlsplatz (Stachus) in Richtung Marienplatz führen, sind die beiden beliebtesten Münchner Einkaufsstraßen mit den höchsten Passanten-Frequenzen. Hier werden traditionell – mit Ausnahme der exklusiven Maximilianstraße – die höchsten Ladenmieten erzielt.
In der Neuhauser Straße lag die Fluktuationsquote im Herbstvergleich 2022 zu 2023 bei 7 %. Bei 67 Ladeneinheiten kam es somit nur zu wenigen Bewegungen.
Unter anderem hat die Schokoladenmanufaktur Läderach in der Neuhauser Straße ihre mittlerweile dritte Münchner Filiale eröffnet; am Hauptbahnhof sowie am Stachus betreibt das Schweizer Familienunternehmen weitere Geschäfte.
Das denkmalgeschützte Gebäude, in dem bis 2020 der Karstadt-Sports am Stachus beheimatet war, wird bis voraussichtlich 2024 grundlegend umgebaut. Unter dem Namen „Herzog Max“ entsteht eine gemischtgenutzte Immobilie. Als ein langfristiger Ankermieter steht bereits das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb fest. Weitere Flächen sollen u.a. durch Einzelhandel und Gastronomie belegt werden.
Über die im Besitz der Signa-Gruppe befindliche Alte Akademie an der Neuhauser Straße wurde derweil ein Baustopp verhängt. Bereits 2020 wurde mit der Revitalisierung, die eigentlich noch in diesem Jahr hätte abgeschlossen werden sollen, begonnen. Die Büroflächen wurden bereits durch den Schweizer Pharmakonzern Novartis angemietet, laut dem Unternehmen ist ein möglicher Einzugstermin aktuell jedoch ungewiss. Zudem wollte u.a. die japanische Modekette Uniqlo 2024 hier ihren ersten Münchner Store eröffnen.
In der Kaufingerstraße kam es in den 27 Geschäftseinheiten bei einer Fluktuationsquote von 19 % zu einigen Verschiebungen im Ladenbesatz.
In die Berechnungen flossen bereits zwei neue Mieter ein, die Ihre Geschäfte jeweils zum Jahresende 2023, also kurze Zeit nach der aktuellen Sichtung, eröffneten. Auf knapp 4.000 m² Fläche empfängt der schwedische Mode-Gigant H&M seine Kunden erstmalig seit dem Black Friday 2023 in seinem neuen Flagship-Store; die Flächen haben sich zuvor die beiden Mode-Labels Esprit und New Yorker geteilt. Zudem eröffnete das dänische Schmuck-Label Pandora in der Kaufingerstraße einen seiner größten Stores überhaupt. Fisker, ein US-amerikanisches Start-up für Elektroautos, empfängt bereits seit einigen Monaten seine Kundschaft. Das Modeunternehmen Hallhuber schloss Ende Oktober sein Kaufhaus in der belebten Einkaufsmeile.
Prozentual die meisten Veränderungen im Herbstvergleich 2022 zu 2023 konnten diesmal in der Rosenstraße mit einer Fluktuationsquote von 38 % gemessen werden. Der Ladenbestand ist in der kurzen Straße, die einen natürlichen Durchgang vom Marienplatz zur Sendlinger Straße darstellt, mit acht Einheiten jedoch sehr gering; einzelne Verschiebungen fallen somit deutlicher ins Gewicht.
Das Traditionsgasthaus Spöckmeier, das erstmalig 1450 urkundlich erwähnt wurde, hat im April 2023 unter einem neuen Pächter feierlich eröffnet. Während der Corona-Pandemie musste das beliebte Wirtshaus schließen, das Gebäude wurde dann für rd. zwei Jahre umfassend saniert.
Das Büro-Fachgeschäft Kaut-Bullinger stellte bereits Anfang 2022 seinen Betrieb in der Rosenstraße ein, danach wurden die Flächen zwischenvermietet. Wie es nun weitergeht, ist noch unklar: Die Immobilie wurde 2020 von der Signa-Gruppe erworben; nach Abriss des alten Kaut-Bullinger-Hauses sollte ein neues Büro- und Geschäftsgebäude errichtet werden. Die Adresse steht nun zum Verkauf. Interessenten sind durchaus vorhanden, aber der Kaufprozess dürfte sich angesichts des Investitionsvolumens in die Länge ziehen.
Im langfristigen Vergleich 2005/2006 zu 2023 steht die vom Marienplatz abgehende Dienerstraße mit einer Fluktuationsquote von 84 % an der Spitze der untersuchten Straßen. Im aktuellen Herbstvergleich 2022 zu 2023 kam es bei 19 Ladeneinheiten lediglich zu einer Veränderung, die Fluktuationsquote lag bei 5 %.
Die Maximilianstraße nimmt unter den Münchner Einkaufsstraßen eine Sonderrolle ein. Sie ist eine Edel-Meile, jedoch keine Hochfrequenzlage wie etwa die Kaufingerstraße. Insgesamt haben sich in den 59 Ladeneinheiten zahlreiche namhafte Designer angesiedelt, die einen sehr ausgewählten Kundenkreis ansprechen. Im Herbstvergleich 2022 zu 2023 lag die Fluktuationsquote bei 10 %.
Die italienische Luxusmodemarke Gucci zog im September 2023 innerhalb der
Maximilianstraße um und vergrößerte sich hierbei deutlich. Im neuen Flagship-Store in den Maximilianhöfen stehen auf zwei Etagen rd. 800 m² an Verkaufsflächen zur Verfügung. Neu in der hochpreisigen Einkaufsstraße ist u.a. die bereits seit 1755 bestehende Schweizer Luxus-Uhrenmanufaktur Vacheron Constantin.
Am zentralen Münchner Marienplatz lag die Fluktuationsquote im aktuellen Untersuchungszeitraum bei einem Bestand von 31 Ladeneinheiten bei 10 %.
Nachdem es in den vergangenen Monaten bereits zu zahlreichen Ladenschließungen gekommen war, wurde im Sommer 2023 bekannt, dass der französische Kosmetikkonzern Yves Rocher alle Filialen im deutschsprachigen Raum schließen wird. Der Store am Marienplatz hat bereits seinen Betrieb eingestellt. Ende Oktober verließ mit der Modemarke Hallhuber ein weiterer prominenter Mieter die Münchner Top-Lage.
Beginnend am Siegestor erstreckt sich die Leopoldstraße bis hin zum Mittleren Ring im Norden. Mit ihren breiten Straßen ist die beliebte Flaniermeile in Schwabing ein viel frequentierter Anlaufpunkt mit einem umfassenden Shopping- und Gastronomie-Angebot. Im Herbstvergleich 2022 zu 2023 lag die Fluktuationsquote, bei einem Ladenbestand von 73 Einheiten, bei 10 %. Es kam zu einigen kleineren Veränderungen.
Im Tal (Fluktuationsquote = 7 %) soll, ähnlich wie vor einigen Jahren in der Sendlinger Straße, zeitnah eine Fußgängerzone entstehen. Hier kam es, ebenso wie in der Weinstraße (Fluktuationsquote = 4 %), im Herbstvergleich 2022 zu 2023 nur vereinzelt zu Verschiebungen im Ladenbesatz. In der Theatiner- sowie in der Residenzstraße konnten keine Veränderungen beobachtet werden.
Insgesamt über die Jahre deutlich zugenommen hat der Filialisierungsgrad in der Münchner Innenstadt. In der Kaufingerstraße lag der Anteil an Filialisten im Herbst 2023 bei 96 % (2005/2006: 92 %) und in der Neuhauser Straße bei 81 % (2005/2006: 77 %). Auch in exklusiven Lagen wie der Maximilianstraße waren 89 % (2005/2006: 70 %) der Mieter Filialisten. Viele große Filialisten, die früher mehrere kleinere Läden in der bayerischen Landeshauptstadt betrieben haben, setzen inzwischen auf einen großflächigen und repräsentativen Flagship-Store in absoluter Top-Lage.
2023 – PN 144 – Einzelhandelsfluktuation 2023 in den Münchner 1a u. 1b-Lagen