PN 37 – Stoppt Suizidgefahr des Mieters die Eigenbedarfskündigung?

BGH, Urteil vom 26.10.2022 – VIII ZR 390/21

Zum Sachverhalt:

Ein Vermieter kündigte dem Wohnungsmieter wegen Eigenbedarfs. Der Mieter widersprach der Kündigung und machte soziale Härte geltend: er leide u.a. an schwerer rezidivierender Depression bis hin zu Suizidideen. Daraufhin bot ihm der Vermieter eine alternative Wohnung zur Miete an, welche der Mieter aber ablehnte. Der Vermieter klagte sodann auf Räumung und Herausgabe.

Aus den Gründen:

Zu Unrecht, so der BGH. Der Mieter könne die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen (§§ 574, 574a BGB). Das Vorliegen einer Härte setze voraus, dass sich die für den Mieter drohenden Nachteile von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben. Dies sei hier auch unter Berücksichtigung der Ablehnung einer stationären Therapie sowie der angebotenen Ersatzwohnung aufgrund der bestehenden hohen Suizidgefahr des Mieters bei Erlass eines Räumungsurteils der Fall. Bei der Bewertung stützte sich der BGH auf die Feststellungen der Vorinstanzen, nach denen der Mieter so auf die Wohnung fixiert ist, dass er schon deshalb und damit krankheitsbedingt eine stationäre therapeutische Intervention ablehnte und demnach bereits aufgrund der Erkrankung die Möglichkeiten therapeutischer Intervention eingeschränkt waren. Zudem sei die Aussicht auf eine erfolgreiche therapeutische – ambulante oder stationäre – Behandlung gering. Therapiemöglichkeiten seien bei ihm zweifelhaft und wenig erfolgversprechend, weil er gedanklich extrem fixiert ist und zudem auch paranoide Vorstellungen im Hinblick auf die Vermieterseite entwickelt hatte. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen sei die Annahme einer sozialen Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 BGB nicht zu beanstanden. Zwar sei bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte ebenso wie bei deren Gewichtung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters bzw. durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Dabei können vom Mieter auch jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden. Es könne mithin auch zu berücksichtigen sein, ob eine bei Verlust der Wohnung bestehende Suizidgefahr durch eine Therapie beherrschbar ist. Es genüge für die Bejahung einer sozialen Härte die vorliegend auf Grundlage u. a. einer umfassenden Begutachtung getroffene Feststellung, dass eine sehr hohe Suizidgefahr bestand und der Mieter eine stationäre Therapie krankheitsbedingt wegen seiner völligen Fixierung auf die Wohnung ablehnt. Angesichts der festgestellten ernsthaften Suizidgefahr des Mieters bestehe aber ein deutliches Übergewicht seiner Belange gegenüber den zu berücksichtigenden Interessen des Vermieters bei berechtigtem Eigenbedarf.

Praxishinweis:

Augen auf bei der Auswahl des Mieters! Regelmäßig wird die Therapieverweigerung oder die Ablehnung einer angebotenen Ersatzwohnung seitens des wirksam gekündigten Mieters zur Ablehnung der von ihm gelten gemachten sozialen Härte führen. Vorliegend aber hat der BGH einen sehr seltenen Einzelfall anders entschieden.

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