Zum stärksten Kommen und Gehen kam es in den Läden in der Diener-, der Kaufinger- und der Sendlinger Straße.
Das Marktforschungsinstitut des IVD Süd e.V. hat die Einzelhandelsfluktuation in zwölf Münchener 1a- und 1b-Einzelhandelslagen untersucht. „Die Nachfrage nach Ladenflächen war innerhalb des vergangenen Jahres rege und es kam erneut zu erheblichen Bewegungen im Ladenbesatz der Münchner Innenstadt. Mehrere Händler eröffneten neue Flagship- bzw. Concept-Stores, was die Bedeutung Münchens als internationaler Top-Standort unterstreicht,“ erklärt Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts. „Nichtsdestotrotz ziehen in Folge des Ukraine-Kriegs, der beginnenden Rezession und der daraus folgenden wirtschaftlichen Verwerfungen wieder verstärkt dunkle Wolken am Retail-Himmel auf.“
Ab Frühjahr 2020 erschütterte die Corona-Pandemie auch den Top-Standort München. Zwei längerfristige Lockdowns sowie teils strikte Corona-Restriktionen während der Lockdown-freien Zeiten setzten dem stationären Handel sowie der Gastronomie erheblich zu. In den letzten rd. zweieinhalb Jahren erlebte die Münchner Innenstadt einen spürbaren Wandel: Viele große Händler dünnten ihre Filialnetze aus und setzen vermehrt auf wenige repräsentative Flagship-Stores, mehrere alteingesessene Händler und Gastronomen mussten ihren Betrieb dauerhaft einstellen. Die Nachfrage nach Ladenflächen ging zwischenzeitlich drastisch zurück, vorübergehend standen Ladeneinheiten auch in Top-Lagen längerfristig leer.
Das IVD Institut untersucht in diesem Zusammenhang regelmäßig, in welchen Einkaufsstraßen die meisten Veränderungen beim Einzelhandelsbesatz zu beobachten sind. Hierbei kam es im Zeitraum Herbst 2021 zu Herbst 2022 zum stärksten Kommen und Gehen in den Läden in der Diener-, der Kaufinger- und der Sendlinger Straße.
Die in der aktuellen Studie vorgestellten Ergebnisse basieren auf einer Vor-Ort-Sichtung des Ladenbesatzes in den Münchner 1a- und 1b-Einzelhandelslagen, die im Herbst 2022 stattfand. Die IVD-Fluktuationsquote gibt den Anteil der Veränderungen gemessen an der jeweiligen Gesamtzahl der Läden wieder, der im langfristigen Zeitraum 2005/2006 zu 2022 bzw. in den beiden Jahresvergleichen 2020 zu 2021 und 2021 zu 2022 registriert wurde.
In der Sendlinger Straße kam es im langfristigen Vergleich 2005/2006 zu 2022 bei einer Fluktuationsquote von 76 % zu zahlreichen Bewegungen im Ladenbesatz. Die Schaffung einer Fußgängerzone bis Ende 2019 wertete die Einkaufsstraße spürbar auf und zog viele neue Händler an. Bezogen auf die Passanten-Frequenz kann die Sendlinger Straße trotz der umfassenden Sanierungsmaßnahmen bei Weitem nicht mit der Kaufingerstraße und der Neuhauser Straße, die die Münchner Haupt-Fußgängerzone zwischen Stachus uns Marienplatz bilden, mithalten. Im aktuellen Untersuchungszeitraum Herbst 2021 zu Herbst 2022 wies die Sendlinger Straße eine Fluktuationsquote von 16 % auf. Mit 86 Einheiten verfügt die Einkaufsmeile über den größten Ladenbesatz unter den untersuchten Straßen; in absoluten Zahlen konnten hier die meisten Veränderungen beobachtet werden.
Innerhalb des letzten Jahres fanden sich mehrere Läden der Kategorie „Fashion/
Accessoires/Beauty“ als neue Mieter ein. Der erste Adidas TERREX Flagship-Store Europas eröffnete Ende 2021, das norwegische Outdoor-Label Norrøna ist mit seinem ersten deutschen Flagship-Store seit Sommer 2022 in der Sendlinger Straße vertreten.
In der hochfrequentierten Neuhauser Straße, die direkt vom Karlsplatz (Stachus) abgeht und über die Kaufingerstraße in Richtung Marienplatz führt, lag die Fluktuationsquote im Jahresvergleich 2021 zu 2022 bei 9 %. Der Ladenbestand liegt insgesamt bei 67 Einheiten.
Nachdem s.Oliver im Zuge der Corona-Pandemie seine Filiale in der Kaufingerstraße 2020 schloss, kehrte der deutsche Bekleidungshersteller Ende 2021 mit seinem neuen Flagship-Store in der Neuhauser Straße in die Münchner Top-Lagen zurück. Der deutsche Schuhhersteller Lloyd öffnete im September 2022 seinen Concept-Store in der Neuhauser Straße.
In der zweiten großen Münchner Einkaufsstraße, der Kaufingerstraße, die sich direkt an die Neuhauser Straße anschließt, wurde bei einem Bestand von 29 Ladeneinheiten eine Fluktuationsquote von 17 % ermittelt.
Der dänische Spielwarenhersteller LEGO eröffnete im September 2022 in der Kaufingerstraße seinen bis dato größten Laden in Deutschland; der neue Flagship-Store erstreckt sich über zwei Etagen. Ab dem Jahresende 2022 empfängt Fisker, ein US-amerikanisches Start-up für Elektroautos, gegenüber dem LEGO Store in seinem ersten europäischen Kundenzentrum seine Gäste.
Prozentual die meisten Veränderungen im Jahresvergleich 2021 zu 2022 konnten erneut in der Dienerstraße mit einer Fluktuationsquote von 21 % gemessen werden. Der Ladenbestand liegt bei insgesamt 19 Objekten. Im langfristigen Vergleich 2005/2006 zu 2022 steht die vom Marienplatz abgehende Dienerstraße mit einer Fluktuationsquote von 84 % ebenfalls an der Spitze der untersuchten Straßen.
Mit der Schweizer Luxusuhrenmarke Breitling, die im ersten Jahresquartal 2022 direkt neben der ansässigen Dallmayr-Filiale ihre neue Boutique eröffnete, bekam die Dienerstraße einen sehr namhaften neuen Mieter hinzu.
In der Residenzstraße, die direkt an die Dienerstraße anschließt und weiter in Richtung Odeonsplatz führt, lag die Fluktuationsquote im Jahresvergleich bei 13 %. Insgesamt sind hier 32 Ladeneinheiten vorzufinden.
Die Schweizer Uhrenmanufaktur Audemars Piguet hat im Sommer 2022 gegenüber der Bayerischen Staatsoper ihr neues AP House Munich eröffnet. Zudem empfängt das dänische Möbelunternehmen Carl Hansen & Søn seit Frühjahr 2022 seine Kunden im zweiten deutschen Flagship-Store.
Auch in der Rosenstraße, die einen natürlichen Durchgang vom Marienplatz zur Sendlinger Straße darstellt, lag die Fluktuationsquote im Beobachtungszeitraum 2021 zu 2022 bei 13 %, allerdings ist hier mit acht Ladeneinheiten der geringste Bestand unter den untersuchten Straßen vorzufinden. Im Februar 2022 stellte das bekannte Büro-Fachgeschäft Kaut-Bullinger, das auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurückblickte, seinen Betrieb in der Rosenstraße ein.
Die Maximilianstraße nimmt unter den Münchner Einkaufsstraßen eine Sonderrolle ein. In der Edel-Meile haben sich in den insgesamt 61 Ladeneinheiten zahlreiche namhafte Designer angesiedelt, die einen sehr ausgewählten Kundenkreis ansprechen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 lag die Fluktuationsquote bei 10 %. Mehrere Händler, so u.a. Petit Faune, Bally und Escada sowie auch die Deutsche Bank haben ihre Filialen geschlossen.
Auch im Tal, das ein umfangreiches gastronomisches Angebot bietet, lag der Fluktuationsquotient im aktuellen Betrachtungszeitraum Herbst 2021 bis Herbst 2022 bei 10 %. Wie bereits in der Sendlinger Straße geschehen, soll auch das Tal in eine Fußgängerzone umgewandelt werden, die Umsetzung könnte bereits 2023 vollzogen werden. In Folge einer Verlängerung der Fußgängerzone vom Marienplatz bis hin zum Isartor könnte das Tal künftig auch für viele Händler ein interessanter Standort werden.
Am zentralen Münchner Marienplatz kam es im aktuellen Untersuchungszeitraum bei einem Bestand von 32 Ladeneinheiten nur zu wenigen Veränderungen – die Fluktuationsquote lag bei 9 %. Wie in der Maximilianstraße hat die deutsche Bank auch am Marienplatz Ihre Filiale geschlossen.
In der Leopoldstraße in Schwabing und in der Theatinerstraße kam es im Herbstvergleich 2021 zu 2022 bei einer Fluktuationsquote von 8 % bzw. 6 % lediglich vereinzelt zu Bewegungen. In der vom Marienplatz abgehenden Weinstraße konnten keine Veränderungen beobachtet werden.
Nach Wegfall der Maskenpflicht im Einzelhandel im Frühjahr 2022 lag die Passanten-Frequenz in der Münchner Innenstadt in den letzten Monaten spürbar höher als in den beiden ersten Corona-Jahren 2020 und 2021 – u.a. war auch der Anteil internationaler Gäste zuletzt wieder deutlich im Aufwind. Der stationäre Handel sowie die Gastronomie erfuhren durchaus wieder eine gestiegene Resonanz.
„Trotz der Erholungsphase in den vergangenen Monaten ist die Stimmung am Retail-Markt weiterhin erheblich angespannt“, fasst Prof. Stephan Kippes die Lage zusammen. „Eine sehr hohe Inflation sowie massiv gestiegene Energiepreise dämpfen die Konsumlaune der Deutschen erheblich. Neben den markanten Kostensteigerungen und erneuten Umsatzeinbußen setzen gestörte Lieferketten den Händlern zu.“
Der Filialisierungsgrad in der Münchner Innenstadt hat über die Jahre spürbar zugenommen. In der Kaufingerstraße lag der Anteil an Filialisten im Herbst 2022 bei 96 % (2005/2006: 92 %) und in der Neuhauser Straße bei 79 % (2005/2006: 77 %). Auch in exklusiven Lagen wie der Maximilianstraße waren 91 % (2005/2006: 70 %) der Mieter Filialisten. Den mit Abstand geringsten Filialisierungsgrad in der aktuellen Sichtung wies die Dienerstraße mit 44 % auf (2005/2006: 29 %).
„Filialisten bieten ihren Kunden ein durchgestyltes Produkt und eine quer durch ihre unterschiedlichen Standorte weitestgehend identische Qualität. Allerdings hat der Anstieg des Fililisierungsgrades den Nachteil, dass dieser zu Lasten des nicht filialisierten mittelständischen Einzelhandels geht. Während Filialisten an vergleichbaren Standorten Deutschlands, Europas und nicht selten sogar weltweit auftreten und damit nicht unbedingt zu einem spezifischen Charakter der jeweiligen Einzelhandelsstandorte beitragen, sind gerade die nicht filialisierten Facheinzelhändler in Shopping-Lagen das Salz in der Suppe, das den Einzelhandelsstandorten ein spezifisches Profil und Flair verleiht. Insofern ist es“, so Prof. Stephan Kippes, „bedauerlich, wenn nicht filialisierte Unternehmen im Wettbewerb mit den Filialisten nicht mehr mithalten können, da dies zu einer Uniformität der jeweiligen Einzelhandelslagen beiträgt.“