PN 55 – Baumwurzeln aus Nachbars Garten – BGH klärt Frage eines Kostenvorschusses/ Schadensersatzanspruchs

Zu Urteil des BGH vom 23.03.2023 – V ZR 67/22

Leitsatz:

Die Vorschrift des § 281 BGB (Schadensersatz statt der Leistung wegen nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung) findet auf die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB keine Anwendung.

Sachverhalt:

Wurzeln der Pappel auf dem Nachbargrundstück sind in das Grundstück des Klägers hineingewachsen. Dadurch wurden auf des Klägers Grundstück Pflastersteine angehoben. Einer Fristsetzung zur Beseitigung des Baums und der eingedrungenen Wurzeln sowie zur Einbringung einer Wurzelsperre ist der „Pappel-Eigentümer“ nicht nachgekommen. Der Kläger hat nun – quasi im Vorschussweg – den Aufwand für eine anstehende Reparatur des Pflasters und das Einbringen einer Wurzelsperre sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Pappel-Eigentümers eingeklagt.

Entscheidung:

Die Klage blieb durch alle Instanzen erfolglos. Zwar könne der Eigentümer, der eine Beeinträchtigung seines Eigentums selbst beseitigt hat, von dem nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer Ersatz der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen und tatsächlich gemachten Aufwendungen verlangen. Das ergebe sich aus Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. Bereicherungsrecht. Der Kläger, der die Maßnahmen, für die er den Aufwand einfordert, noch nicht hat durchführen lassen, hat für seinen „Vorschussanspruch“ daher eine andere Anspruchsgrundlage ins Feld führen müssen, nämlich § 281 BGB, der – wenn ein Schuldner die Leistung nicht oder nicht vertragsgerecht erbringt – einen Schadensersatzanspruch gewährt. Nun ist aber der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nur auf Beseitigung der Störung, nicht aber auf Zahlung eines Kostenvorschusses gerichtet. Vorschussansprüche sind im BGB nur in Ausnahmefällen geregelt (z.B. Werkvertragsrecht). Auch der in der Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen anerkannte nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB half dem Kläger nicht, weil dieser schon von vornherein nur besteht, wenn eine Beeinträchtigung ohne gesetzliche Abwehrmöglichkeit hinzunehmen ist. Das war bei dem Kläger vorliegend nicht der Fall: Er hatte ja einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB gegen seinen „Pappel-Nachbarn“.

Ob § 281 BGB auf den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Beseitigung der Beeinträchtigung des Eigentums – hier: auf Entfernung der herübergewachsenen Wurzeln und Wiederherstellung des Pflasters – Anwendung findet, war in Rechtsprechung und Literatur bisher umstritten:

Überwiegend wurde vertreten, dass § 281 BGB auch auf den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog anwendbar sei, um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Die Gegenmeinung, der sich der BGH nun angeschlossen hat, sieht in der Geltendmachung von Unterlassungs-/ Beseitigungsansprüchen gem. § 1004 BGB keine Leistung im Sinne von § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB, mit der der Eigentümer sein Vermögen – im Sinne eines positiven Leistungsinteresses – mehren wolle. Für eine analoge Anwendung fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Kosten einer tatsächlich bereits durchgeführten Selbstvornahme könne der Eigentümer nach § 683 Satz 1, § 670 BGB bzw. § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB erstattet verlangen (s.o.); für eine bleibende Beeinträchtigung werde er ggf. analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entschädigt. Solange die Beeinträchtigung fortbestehe, könne i.Ü. der Beseitigungsanspruch nicht erlöschen bzw. er entstehe sofort wieder neu. An etwaige schuldrechtliche Vereinbarungen sei ein Rechtsnachfolger nicht gebunden. Eine von der Beseitigung der Beeinträchtigung unabhängige Schadensersatzzahlung sei nicht mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs vereinbar, der auf Wiederherstellung des dem Eigentumsrecht entsprechenden Zustandes gerichtet ist. Er diene daher nur der Verteidigung eines bereits vorhandenen Vermögensgegenstandes (sog. Integritätsinteresse), während mit einem schuldrechtlichen (Schadensersatz-) Anspruch das Vermögen des Gläubigers zu Lasten des Vermögens des Schuldners gemehrt werden soll (sog. Leistungsinteresse). Beim Beseitigungsanspruch gelte zudem – anders als beim Schadensersatzanspruch – nicht das Prinzip „dulde und liquidiere“. Zahlungsausgleich kommt hier nur insoweit in Betracht, als der Rechtsinhaber zur Wahrung seines Rechts tatsächlich Aufwand getragen hat. Auch passe eine wesentliche Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs gem. § 281 BGB nicht auf den Beseitigungsanspruch: Bei Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erlischt der ursprüngliche Leistungsanspruch des Gläubigers (§ 281 Abs. 4 BGB); gerade das ist aber beim Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB nicht der Fall. Dieser besteht grds. unverjährbar, weil er quasi immer wieder neu entsteht.

Tipp:

Nachbarn streiten gerne über angebliche/tatsächliche Beeinträchtigungen, die vom Nachbargrundstück ausgehen. Hier wird man mit dem aktuellen Urteil als Grundlinie festhalten können, dass der beeinträchtigte Nachbar nur im Falle tatsächlich bereits angefallener Beseitigungs-Aufwendungen Ersatz verlangen kann, ansonsten eben „nur“ der Anspruch auf Unterlassung bzw. Beseitigung – und im Anschluss daran der Anspruch auf Ausgleich der dafür aufgewendeten Kosten – besteht. Es ist davon auszugehen, dass weiterhin – wenn ein Beseitigungsanspruch geltend gemacht wird – die tatsächlichen Grundlagen ebenso wie der angemessene Aufwand für eine Beseitigungsmaßnahme vorweg im selbständigen Beweisverfahren festgestellt werden können. Das dürfte sich durch dieses Urteil nicht ändern.

2023 – PN 55 – FMB Umland 2023 – Recht