Der Wohnimmobilienmarkt hat sich zum Käufermarkt gewandelt
Das Marktforschungsinstitut des IVD Süd e.V. hat am 24.01.2023 auf einer Video-Pressekonferenz den SpezialReport „München-Augsburg-Ingolstadt-Rosenheim“ vorgelegt. Der Bericht untersucht die Wechselwirkung der Immobilienmärkte in den vier bayerischen Städten.
„Aufgrund der geänderten Marktrahmenbedingungen hat sich die Lage auf dem Wohnimmobilienmarkt in den vergangenen Monaten gravierend verändert. Nach vielen Jahren mit starken Preisanstiegen auf dem Kaufmarkt kommt es nun zu den ersten Preisanpassungen an den begehrten Wohnimmobilienmärkten in München, Augsburg, Rosenheim und Ingolstadt. Das Angebot sowie der Spielraum für Preisverhandlungen haben sich vergrößert. Die Nachfrage ist dagegen quantitativ deutlich niedriger. Für diejenigen, die über ein entsprechendes Eigenkapital verfügen, bietet die aktuelle Lage gute Chancen für einen Immobilienkauf. Für einen Großteil der Kaufinteressenten wurde der Eigenheimerwerb allerdings deutlich schwieriger“, so Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts.
Als gefragte Wohnorte wiesen alle untersuchten Städte auf dem Wohnimmobilienmarkt bis Frühjahr 2022 einen deutlich ausgeprägten Nachfrageüberhang und kontinuierlich steigende Preise aus. Das höchste Preisniveau sowohl im Vergleich der untersuchten Städte als auch im bundesweiten Vergleich verzeichnet die Landeshauptstadt München. Dank der hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung sowie dem hohen Freizeitwert folgt Rosenheim mit seinem, für eine Mittelstadt, relativ hohen Preisniveau noch vor den Großstädten Augsburg und Ingolstadt.
Die Nachfrage nach Wohnimmobilien blieb bis Frühjahr 2022 verstärkt durch niedrige, wenn auch bereits zu diesem Zeitpunkt, leicht anziehende Zinsen, eine steigende Inflation sowie Negativzinsen für Spareinlagen in allen vier Städten auf einem sehr hohen Niveau. Das Immobilienangebot dünnte sich in den untersuchten Städten dagegen zunehmend aus, sodass sich die Nachfrage immer weiter auf die jeweiligen Einzugsgebiete bzw. Nachbarorte verlagerte, wo das Preisniveau meistens noch etwas unter dem Niveau der Ballungszentren lag und das Objektangebot etwas größer war.
Deutliche Ausweicheffekte konnten in den vergangenen zwei Jahren nicht nur von den Städten in die jeweiligen Umlandgemeinden, sondern auch zwischen den untersuchten Städten, hier insbesondere von München nach Augsburg, beobachtet werden. Aufgrund eines deutlich niedrigeren Preisniveaus und einer hervorragenden Anbindung boten diese Städte denjenigen eine gute Alternative, die sich in der Landeshauptstadt kein Eigentum leisten konnten. Der durch die Pandemie beschleunigte Homeoffice-Trend ermöglichte eine größere räumliche Entfernung zu den regulären Arbeitsstätten. Dies hat die ohnehin sehr hohe Nachfrage nach Wohnimmobilien in den untersuchten Städten noch zusätzlich verstärkt.
Im Vergleich der untersuchten Städte ist Augsburg die Pendler-Stadt N.1 Richtung München. Insgesamt pendelten 2022 rund 10.500 Augsburger, 3.200 Ingolstädter und 3.000 Rosenheimer in die Landeshauptstadt. Die Anzahl der Auspendler aus München nach Augsburg und Ingolstadt liegt mit jeweils rund 1.900 Personen auf einem ähnlichen Niveau, während die Anzahl der Münchener, die ihren Arbeits- bzw.- Ausbildungsplatz in Rosenheim haben, bei rund 1.300 liegt.
Seit dem zweiten Quartal 2022 hat die Kombination aus den steil steigenden Finanzierungskosten im Gefolge einer sprunghaft gestiegenen Inflation, den stark zunehmenden Bau- und Energiekosten sowie den entstandenen Unsicherheiten infolge des Ukraine-Krieges die dynamische Entwicklung im Kaufsegment stark ausgebremst. Die Trendwende am Immobilienmarkt setzte zunächst in der Landeshauptstadt München ein. Während die Städte Augsburg, Ingolstadt und Rosenheim noch im Herbst 2022 stabiles bis leicht steigendes Preisniveau aufwiesen, wurden in München erstmalig seit langer Zeit messbare Preisrückgänge für Wohnimmobilien ermittelt. Inzwischen ist die Tendenz zu rückläufigen Zahlen in allen untersuchten Städten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, festzustellen.
Wie hoch die Preisabschläge ausfallen, hängt stark von Lage und Qualität der vermarkteten Objekte ab. Tendenziell geben die Kaufpreise in den Nebenkern- und Stadtrandlagen eher nach, während die guten Innenstadtlagen preisstabiler sind. Außerdem spielt der energetische Zustand einer Immobilie eine zunehmend größere Rolle. In den vergangenen Monaten zeichnete sich ab, dass die Immobilien mit einem höheren Energiekennwert gefragter und preisstabiler sind als unsanierte Objekte. Die energetische Sanierung spart nicht nur Energieverbrauch, sondern sichert signifikant die Nachfrage und den Wert der Immobilie.
Die Vermarktungsdauer hat sich sowohl bei Bestands- als auch bei Neubauobjekten erhöht. Einige Bauträger, soweit sie finanziell relativ unabhängig sind, behalten öfter die nicht veräußerte Immobilien im Bestand statt diese mit Preisabschlägen zu verkaufen. Diese Immobilien werden nach der Errichtung vermietet. Bei der Planung neuer Bauprojekte agieren die Bauträger aktuell sehr vorsichtig; die überzogenen Kaufpreise für Grundstücke werden nicht akzeptiert. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit wird sehr kritisch betrachtet, da der Spielraum bei der Preisgestaltung aktuell sehr begrenzt ist.
Die Nachfrage auf dem Wohnimmobilienmarkt hat sich in den vergangenen Monaten stärker vom Kaufbereich wegbewegt und sich in Richtung des Mietbereichs orientiert. Am Mietmarkt aller untersuchten Städte kommt es wieder zu deutlich mehr Dynamik. Die Vermarktungszeiten werden wieder spürbar kürzer. Durch das zeitweise verminderte Kaufinteresse und dadurch eine höhere Nachfrage auf dem Mietmarkt ist mit dem Anstieg des Mietpreisniveau zu rechnen.
Die gestiegenen Finanzierungs- und Baukosten sowie eine restriktivere Kreditvergabe der Banken gegenüber Bauträgern wie auch potentiellen Immobilien-käufern belasten die Bauwirtschaft erheblich. Neben einer rückläufigen Zahl an Bauanträgen und schließlich auch Baugenehmigungen ist zu befürchten, dass eine beachtliche Zahl längst genehmigter Bauvorhaben angesichts der geänderten ökonomischen Rahmendaten gestoppt oder zumindest temporär aufgeschoben wird. Durch die sich andeutende schwächelnde Wohnungsproduktion bei gleichzeitig steigenden Einwohnerzahlen könnten bestehende Engpässe noch weiter verschärft bzw. künftige Engpässe geschaffen werden.
Die Trendwende am Wohnimmobilienmarkt ist in den untersuchten Städten München, Augsburg, Ingolstadt und Rosenheim angekommen. Es ist davon auszugehen, dass einige Marktsegmente eine gewisse Preiskorrektur erfahren werden. Ein massiver, langanhaltender Preisverfall ist jedoch an diesen Standorten nicht zu erwarten. Die Lage und die Objektqualität haben eine wichtige Bedeutung für die zukünftige Preisentwicklung; so könnten Objekte in schlechteren Lagen bzw. Objekte mit Sanierungsbedarf, vor dem Hintergrund der sehr hohen Energiekosten, preislich deutlicher nachgeben.
Die weitere Entwicklung am Wohnimmobilienmarkt hängt von diversen Faktoren, speziell von der allgemeinen Wirtschaftssituation, der Zinsentwicklung sowie der Inflation, ab. Kritisch zu bewerten sind aktuell die wegen der steigenden Finanzierungs- und Baukosten eingebrochenen Baugenehmigungszahlen, die für weitere Wohnungsengpässe sorgen werden.
Im Einzelnen berichtet Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts, von folgenden marktrelevanten Entwicklungen:
– Die Zinshöhe der Kredite mit einer Zinsbindungsdauer von 1 bis 5 Jahren lag im November 2022 bei beachtlichen 3,75 % (November 2021: 1,43 %) Ein Darlehen mit einer Zinsbindung über 10 Jahren verteuerte sich von 1,33 % im November 2021 auf 3,75 % im November 2022 (Quelle: Deutsche Bundesbank)
– Die Inflation in Deutschland steigt seit der zweiten Jahreshälfte 2021 kontinuierlich an. Lag die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2021 noch bei 3,1 %, stieg sie bis Dezember 2022 auf beachtliche 8,6 % an. Im Jahresdurchschnitt 2022 liegt die Quote vorläufig bei 7,9 %
– Steigende Einwohnerzahlen: Alle untersuchten Städte verzeichneten in den vergangenen 20 Jahren (2000-2020) steigende Einwohnerzahlen: München +23 %, Ingolstadt +18 %, Augsburg +16 %, Rosenheim +8 % (Quelle: Bay. Landesamt für Statistik)
– Bevölkerungsvorausberechnung (2020-2040): Nach Angaben des bayerischen Landesamtes für Statistik soll die Einwohnerzahl bis 2040 in Augsburg und Ingolstadt um jeweils +9 %, in München um +7 %, und in Rosenheim um weitere +4 % steigen.
– Immobilienumsätze in Bayern 1.-3.Q.2022: Das 1.Q.2022 startete mit einem Transaktionsvolumen von 19,4 Mrd. € ausgesprochen gut, ehe sich der Markt ab dem 2. Jahresquartal drehte und die Umsätze auf 17,1 Mrd. € zurückgingen. Auch im 3.Quartal setzte sich der Rückgang weiter fort (3.Q.2022: 15,9 Mrd. €) (IVD-Berechnungen auf Basis des vom Bundesministerium für Finanzen erhobenen Grunderwerbsteueraufkommens).