PN 102: IVD-CityReport Stuttgart: Zurückhaltung bei Immobilienkäufen, erstmals seit Längerem sinken die Preise für Wohnimmobilien

Keine Steigerungen am Mietwohnungsmarkt, Mieten bleiben konstant, aber heftiger Anstieg der Wohnnebenkosten befürchtet

Das Marktforschungsinstitut des Immobilienverbandes Deutschland IVD Süd e.V. hat am 11. Oktober 2022 auf einer Video-Pressekonferenz den traditionellen „CityReport Stuttgart Herbst 2022“ vorgestellt. „Der Wohnimmobilienmarkt ist am Drehen, alle Marktakteure, ob Bauträger, Makler oder Nachfrager, spüren die Vibrationen am Markt. Die stark steigende Inflation, restriktive Kreditvergaben, massiv angezogene Finanzierungskosten und exponentiell gewachsene Energiekosten sind aktuell die bestimmenden Themen für den Immobilienmarkt in Baden-Württemberg und speziell das Hochpreisgebiet Stuttgart“, urteilt Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts.

Wohnimmobilien zum Kauf

Der Stuttgarter Kaufmarkt befindet sich in einem großen Umbruch. Vor dem Hintergrund einer hohen Inflation, rasant gestiegenen Finanzierungskonditionen und einer drohenden Rezession infolge des Ukrainekriegs, kam es im Frühsommer 2022 zu einer Trendwende am Markt mit einer daraus resultierenden Zurückhaltung bei Immobilienkäufen. „Eine tendenzielle Verschiebung der Nachfrage in Richtung Miete ist zu beobachten“, so Prof. Stephan Kippes.

„Die schlagartige Veränderung des Zinsniveaus hat aktuell den Trend steigender Preise gedreht: Während das Interesse an Kaufobjekten derzeit verhalten ist, steigt die Nachfrage nach Mietobjekten in allen Marktsegmenten deutlich. Als in den letzten Jahren aufgrund der historisch niedrigen Bauzinsen der Immobilienerwerb deutlich erschwinglicher wurde, verlagerte sich die Nachfrage teilweise vom Miet- ins Eigentumssegment, das geht jetzt in die gegenläufige Richtung“, so Prof. Stephan Kippes. „Das historisch niedrige Zinsniveau der vergangenen Jahre ermöglichte die vielerorts massiven Preissteigerungen bei den Kaufpreisen zumindest teilweise zu kompensieren. Nachdem die Entlastung durch niedrige Zinsen weitestgehend weggefallen ist, gleichzeitig aber die Kaufpreise in schwindelerregender Höhe verblieben sind, fallen speziell Eigennutzer, die traditionell häufig mit einem hohen Anteil an Fremdkapital finanzieren, immer öfter als Käufer aus.“

Kapitalanleger nutzen die derzeit etwas entspanntere Situation auf der Angebotsseite punktuell, um hier Lagesicherung zu betreiben. Sie nutzen die größere Auswahl, um sich Wohnimmobilien zu sichern, zu denen der Zugang vormals wesentlich schwerer oder gar nicht möglich war. Aktuell ist jedoch auch bei dieser Käufergruppe, sowohl bei privaten als auch institutionellen Anlegern, eine gewisse Zurückhaltung bei den Kaufentscheidungen zu beobachten.

Die Nachfrage nach Kaufimmobilien ist zurückgegangen, die Anzahl der Kaufinteressenten schrumpft. Dementsprechend wächst die Angebotsmenge an Kaufobjekten. „Haben früher 50 bis 60 Menschen Interesse an einer Eigentumswohnung bekundet, sind es momentan lediglich 10 bis 12, allerdings handelt es sich um seriöse Anfragen mit guter Bonität“, berichten die IVD-Experten Roland Kessel, Christoph Landgraf, Cornelia Traub und Jörg Kinkel übereinstimmend. Somit fällt im Herbst 2022 der Nachfrageüberhang nicht mehr so deutlich aus wie in den Vorjahren.

Der Kreis der Kaufinteressenten hat sich vorwiegend auf Menschen mit klassischen Kaufmotiven reduziert, die mit Bedacht am Markt agieren. Ähnlich wird auch der Verkauf seitens der Verkäuferseite durch klassische Motive angetrieben. Nachfrager sind überwiegend Eigennutzer.

Erstmalig seit längerer Zeit meldet das IVD-Institut in seiner aktuellen Herbsterhebung kein weiteres Wachstum des Kaufpreisniveaus, sondern deutliche Bremsspuren am Kaufmarkt. Die Trendwende ist (noch) nicht in allen Marktsegmenten erkennbar, so sind insbesondere die Preise für Einfamilienhäuser im Vergleich Frühjahr – Herbst 2022 konstant geblieben, bei Doppelhaushälften und Reihenmittelhäusern sind leichte Preisabschläge von rd. -1 % erkennbar, bei Eigentumswohnungen wurden spürbare Rückgänge von bis zu -5 % ermittelt (jeweils bezogen auf den guten Wohnwert). Die Grundstückspreise sowohl für Einfamilienhäuser als auch für Geschossbau sind mit rd. -10 % am stärksten in die Tiefe gerutscht.

Für eine Eigentumswohnung/Bestand mit gutem Wohnwert wird im Herbst 2022 ein Quadratmeterpreis von 5.700 € veranschlagt. Für Objekte im oberen Preissegment mit bester Ausstattung werden Kaufpreise ab 11.000 €/m² aufgerufen, wobei festzuhalten ist, dass diese seit einigen Jahren eine gewisse Marktsättigung erfahren.

Für eine neuerrichtete Eigentumswohnung mit gutem Wohnwert werden im Herbst 2022 im Stadtbereich durchschnittlich 9.000 €/m² bezahlt; in der Spitze bewegen sich die Kaufpreise für eine neugebaute Einheit um die 16.500 €/m².

Nach wie vor wird die Umsatztätigkeit im Marktsegment der Häuser zum Kauf durch ein viel zu knappes Angebot erheblich gebremst. Die Preise für freistehende Einfamilienhäuser aus dem Bestand mit einem guten Wohnwert bleiben auf hohem Niveau bei 1.380.000 € konstant. Die Nachfrage konzentriert sich auf Eigennutzer, die unter aktuellen Finanzierungskonditionen noch mehr als in den Vorjahren auf die Unterstützung von Eltern und Großeltern beim Eigenkapital angewiesen sind.

Der Stuttgarter Grundstücksmarkt zeichnet sich durch einen enormen Mangel an unbebauten Baugrundstücken aus. Durch die erschwerte Kalkulation der Erlöse verhalten sich die Bauträger in der aktuellen Situation abwartend und verzichten auf weitere Grundstückskäufe. Insofern zeichnet sich auf dem Markt für Baugrundstücke eine gewisse Stagnation mit einem Rückgang der Preise auf einem hohen Niveau ab. Die Preise für Baugrundstücke liegen im Herbst 2022 für Einfamilienhäuser durchschnittlich bei 1.450 €/m² und für Geschossbau bei 1.950 €/m² (jeweils gute Wohnlage) und sind somit von massiven Preisrückgängen betroffen.

Was ein Problem in der Region Stuttgart und auch Baden-Württemberg werden wird, ist vielerorts der Rückgang der Bautätigkeit durch die gestiegenen Zinsen; dies wird – anders ausgedrückt – die Wohnungsprobleme von morgen produzieren. Durch den starken Anstieg der Hypothekenzinsen und die zurückgehende Nachfrage geraten auch Bauträger zunehmend in die Bredouille und fahren die Bautätigkeit deutlich herunter. Dies führt dazu, dass die Grundstückspreise aktuell besonders hinterfragt werden. Derzeit ist eine absolut ungewöhnliche Zurückhaltung der Bauträger bei der Bevorratung mit Grundstücken festzustellen, während Grundstücke noch bis vor einigen Monaten neben den Handwerkerleistungen der absolute Engpass waren.

Wohnimmobilien zur Miete

Nach vielen Jahren des überhitzten Mietwohnungsmarktes als Folge unzureichender Bautätigkeit und des Zuzugs erlebte Stuttgart seit dem Pandemieausbruch eine etwas ruhigere Phase. Angesichts der Verminderung des Zuzugs infolge des Strukturwandels in der Region und der Corona-Lockdowns erfuhren die Einwohnerzahlen einen Stillstand bzw. einen Rückgang. Zwar stieg die Bevölkerungszahl in den ersten beiden Quartalen 2022 insgesamt um knapp 6.000 neue Einwohner, doch dies ist u.a. auch auf die Zuwanderung ukrainischer Kriegsflüchtlinge zurückzuführen.

Nach der Sommerpause ist eine neue Tendenz am Mietmarkt erkennbar. Infolge der deutlich weniger attraktiven Finanzierungskonditionen bei Kaufobjekten erfährt der Mietmarkt einen neuen Schwung. Kaufinteressenten, die den sprunghaften Anstieg der Hypothekenzinsen nicht tragen können und vom Immobilienkauf zum aktuellen Zeitpunkt Abstand nehmen müssen, entscheiden sich häufiger für ein Mietobjekt.

Mietinteressenten, die ihre Wohnsituation infolge der Corona-Einschränkungen verbessern bzw. sich vergrößern wollten, rücken vom Vorhaben angesichts der steigenden Nebenkosten erst einmal ab. Nur wer unbedingt umziehen muss, entscheidet sich für einen Wohnungswechsel. Diese Nachfragergruppe lässt sich bei der Entscheidung Zeit, akzeptiert keine überzogenen Mietforderungen, insbesondere unter Berücksichtigung der anfallenden rasant steigenden Nebenkosten.

Trotz der aktuellen Verwerfungen ist die Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt in Stuttgart weiterhin hoch, speziell nach traditionell stark begehrten kleineren Wohnungsgrößen. Angesichts der steigenden Zahl an Einpersonenhaushalten ist mit einem weiteren Anstieg des Wohnraumbedarfs zu rechnen. Die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum entwickelt sich dagegen seit Jahren deutlich unter dem Bedarf, das bestätigt auch die im Juli 2022 veröffentlichte Wohnungsbedarfsanalyse in Stuttgart.

Der aktuellen Erhebung des IVD-Instituts zufolge sind im Durchschnitt folgende monatliche Mieten in Stuttgart im Herbst 2022 gemessen worden: Für Altbauwohnungen müssen 15,50 €/m², für Wohnungen aus dem Bestand 15,40 €/m² und für neu errichtete Mietwohnungen 16,80 €/m² aufgebracht werden (jeweils auf den guten Wohnwert bezogen). Die Mieten sind im Jahresvergleich konstant geblieben. Die Mietpreisbremse hat die Mietanstiege in Stuttgart gedämpft.

Gewerbeimmobilien: Einzelhandel

In den vergangenen rd. zweieinhalb Jahren dünnten zahlreiche große Handelsunternehmen ihre Filialnetzte stark aus – der Fokus wurde vermehrt auf das Online-Geschäft gerichtet. Temporäre Leerstände waren auch an Top-Adressen zu beobachten. „Die Nachfrage nach Ladenflächen stieg in der Zwischenzeit zwar etwas an, die seit dem ersten Lockdown bereits gesunkenen Abschlussmieten sind aber weiter im Sinken, wenn auch mit abgeschwächter Dynamik“, beobachtet Dirk Karge, IVD-Marktberichterstatter und Geschäftsführer der Alfred Pfeiffer Immobilien GmbH in Stuttgart. Insbesondere der Stuttgarter 1a-Geschäftskern, das absolute Flagschiff des Einzelhandels, verlor seit Anbeginn der Pandemie im Frühjahr 2020 bei Neuvermietungen über ein Drittel an der Miethöhe.

Leergewordene Ladenflächen (meistens im Erdgeschoss) werden auch durch atypische Nachfragergruppen (Makler, Kitas, Barbershops bis hin zu Hundesalons) verstärkt nachgefragt und angemietet. Speziell in der Gastronomie ist aktuell viel Bewegung und eine höhere Fluktuation zu beobachten, einige Startups mit interessanten Konzepten mussten ihre Geschäfte aufgeben.

Gewerbeimmobilien: Büro

Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen infolge des Ukrainekriegs und Unsicherheiten (Stichwort: Büroflächenverbrauch infolge von Homeofficeregelungen und Strukturwandel in der Automobilindustrie) weisen Büros – preislich gesehen – eine Seitwärtsbewegung mit einer leichten Tendenz zu Mietrückgängen im mittleren und guten Nutzungswert auf. Haben Incentives während der Coronakrise bei Neuvermietungen an Bedeutung gewonnen, auch wenn sie nicht pauschal gewährt wurden, speziell nicht in gefragten Lagen, so kehrt diese Entwicklung wieder auf das ursprünglichen Vor-Pandemie-Niveau zurück.

Im Einzelnen berichtete Prof. Stephan Kippes von folgenden marktrelevanten Tendenzen:

  • Investitionsdynamik am Immobilienmarkt in Baden-Württemberg ließ sich von Corona-Krise nicht einbremsen, die Folgen des Ukrainekriegs sind im 2.Quartal 2022 sichtbar: Wurde im von der Coronakrise stark geprägten Jahr 2020 mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 45,1 Mrd. € bereits eine neue Bestmarke erzielt, so legten die Immobilienumsätze 2021 um +9,1 % zu. Insbesondere dank eines starken Auftaktquartals 2022 mit einem Transaktionsvolumen von 13,4 Mrd. € wurde ein leichter Zugewinn von +1,9 % gegenüber der ersten Jahreshälfte 2021 erzielt. Im zweiten Quartal 2022 sanken die Immobilienumsätze in Baden-Württemberg gegenüber dem ersten Jahresquartal um -14,2 %.
  • Zinssätze nach langer Talfahrt rasant steigend: Im September 2022 gab die Deutsche Bundesbank einen vorläufigen durchschnittlichen Zins für grundschuldgesicherte Darlehen heraus. Bei einer Laufzeit von über 10 Jahren lag der Zinssatz im Juli 2022 bei deutlichen 3,04 % (Vorjahresmonat: 1,34 %). Die Zinshöhe der Kredite mit einer Zinsbindungsdauer von 1 bis 5 Jahren lag bei 2,64 % (Vorjahresmonat: 1,32 %).
  • Inflation auf dem Vormarsch: Die Inflation in Deutschland steigt seit der zweiten Jahreshälfte 2021 kontinuierlich an. Lag die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2021 noch bei 3,1 %, wuchs sie im 1. Quartal 2022 auf 5,8 %, im zweiten auf 7,6 % und im dritten auf 8,5 %.
  • Arbeitslosenzahlen nähern sich dem Vor-Corona-Niveau: Ist die Arbeitslosigkeit seit dem Pandemieausbruch in die Höhe geschnellt, so nahm sie seitdem allmählich ab, auch wenn das Vor-Corona-Niveau noch nicht erreicht wurde. Im August 2022 waren 4,8 % der erwerbsfähigen Stuttgarter arbeitslos (August 2019: 4,2 %). Auf Bundeslandebene wurde mit 3,8 % ebenfalls eine sinkende Arbeitslosenquote registriert (August 2019: 3,3 %).
  • Wohnungsnebenkosten nehmen infolge massiv gestiegener Energiepreise stark zu: War der stärkste Anstieg zwischen 2015 bis Februar 2022 bei den Kosten für die regelmäßige Instandhaltung zu verzeichnen, so wurde er im August 2022 von Strom, Gas und anderen Brennstoffen (+46,0 % seit 2015) abgelöst. Die Kosten für die Instandhaltung und Reparatur von Wohnungen stiegen im betreffenden Zeitraum um +35,5 %.

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