IVD Süd befürchtet angesichts steigender Finanzierungs- und Baukosten in den kommenden Monaten erheblichen Rückgang beim Wohnungsbau.
Bayernweit genehmigten die Behörden in den ersten acht Monaten 2022 laut statistischem Landesamt den Bau von rd. 46.800 neuen Wohnungen.* Bezogen auf den Betrachtungszeitraum von Januar bis August liegt die Zahl nur knapp unter dem Niveau der in 2021 über diesen Zeitraum angebotenen Wohnungen (-0,8 %) und spürbar über dem 5-Jahresdurchschnitt 2017 bis 2021 für diesen Zeitraum (+5,6 %). Auch der August 2022 zeigte noch keine Trendwende: Die Baugenehmigungszahlen in Bayern bewegten sich in etwa auf dem Niveau von August 2021 (+0,4 %).
„Trotz bis dato scheinbar stabiler Wohnungsgenehmigungszahlen belasten die in den vergangenen Monaten kontinuierlich gestiegenen Finanzierungs- und Baukosten sowie eine restriktivere Kreditvergabe der Banken gegenüber potentiellen Immobilienkäufern die Immobilienbranche und speziell auch das Baugewerbe spürbar“, erklärt Prof. Stephan Kippes, Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts. „Es kommt vermehrt dazu, dass Kauf- bzw. Bauwillige einen Rückzieher machen. Die Auftragseingänge im bayerischen Bauhauptgewerbe verdeutlichen dies; sie lagen laut statistischem Landesamt für das Segment Wohnungsbau im September 2022 -4,4 % unter dem Vorjahresmonat.“
Die Bauträger geratenen hierbei aus mehreren Gründen in eine schwierige Situation. Zum einen haben sie teilweise in der Vergangenheit zu relativ hohen Preisen Bauplätze erworben, die sie erst noch bebauen müssen. Wenn jetzt der Markt schwächer wird, ist es schwierig diese Grundstücke zu bebauen und zu refinanzieren. Zum anderen sind Baumaterialien in den letzten Jahren massiv teurer geworden. Das Statistische Bundesamt ermittelte für den Zeitraum 2020 – 2021 etwa Anstiege bei Konstruktionsvollholz um +77 %, bei Dachlatten um +65 %, bei Bauholz um +61 % und bei Betonstahl in Stäben um +53 %. Die markanten Zuwächse setzen sich auch im laufenden Jahr 2022 fort. Die Gründe für die Preisentwicklung bei Baumaterialien liegen speziell in Lieferkettenproblemen, Engpässen im Gefolge des Ukraine-Krieges bzw. gestiegenen Energiekosten.
Ein weiteres Problem, mit dem Bauträger zu kämpfen haben, ist es Handwerker zu bekommen. Angesichts der instabilen Preissituation erhalten Bauträger von Handwerkern häufig keine Festpreise mehr, sondern müssen hier preislich ins Risiko gehen. Auf der Nachfrageseite hat die Trendumkehr am Markt dazu geführt, dass Bauträger im Moment nur schwer abschätzen können, welchen Verkaufspreis sie bei ihrer Kalkulation ansetzen können. Angesichts dieser Gründe unterbleiben viele Bauvorhaben.
Die veränderte Situation spiegelt sich auch beim Markt für Baugrundstücke wider. Früher war das Angebot speziell in den Ballungsräumen sehr knapp. Es gab einen sehr starken Wettbewerb unter den Bauträgern, wenn einmal ein Grundstück angeboten wurde; Grundstücke wurden damals regelrecht versteigert. Inzwischen hat sich die Situation völlig verändert und Bauträger sind hinsichtlich der Akquisition neuer Grundstücke deutlich zurückhaltender und akzeptieren auch die geforderten Preise nur bedingt. Insofern ist es auch ein erstes wichtiges Signal, dass der Baugrund im Geschossbau nun eher nach unten tendiert; in der Landeshauptstadt München gab das Preisniveau im Halbjahresvergleich bis Herbst 2022 erstmalig seit rd. 20 Jahren um -1,2 % nach.
In der Bautätigkeits-Statistik sind die genannten Probleme erst sehr bedingt angekommen. 2021 wurden bayernweit rd. 68.600 Wohnungen zum Bau freigegeben (+1,6 % gegenüber 2020). In der langfristigen Betrachtung seit dem Jahr 2000 war dies der höchste Jahreswert, wobei die Zahl immer noch deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf zurückbleibt, speziell wenn man die Situation in den bayrischen Ballungsräumen betrachtet. Waren die Baugenehmigungszahlen in den ersten acht Monaten 2022 weiterhin relativ beachtlich, so dürfte sich die Zahl der Bauanträge und letztendlich auch Baugenehmigungen in den letzten Monaten des Jahres spürbar rückläufig entwickeln. Außerdem ist zu befürchten, dass eine beachtliche Zahl der genehmigten Bauvorhaben angesichts der geänderten ökonomischen Rahmendaten abgestoppt oder zumindest temporär aufgeschoben wird. Das relativ gute Vorjahresergebnis würde 2022 somit nicht bestätigt werden können, es käme vielmehr auch hier zu einer Trendumkehr.
Die Bunderegierung hält weiterhin an ihrem ambitionierten Ziel fest, trotz der aktuellen Gegebenheiten deutschlandweit jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. „Die Bemühungen gehen durchaus in die richtige Richtung, jedoch muss Wohnraum auch dort entstehen, wo er dringend benötigt wird. Gerade in prosperierenden Regionen konnte die Neubautätigkeit in den vergangenen Jahren oftmals nicht mit der hohen Nachfrage mithalten. Aufgrund der hohen Inflation sowie einer immer schwieriger werdenden Finanzierung ist zudem eine vermehrte Bewegung von eigentlichen Kaufinteressenten ins Mietsegment zu beobachten. Dies führt dazu, dass es hier zu keiner Entspannung kommt. Vielmehr entstehen durch die sich andeutende erheblich schwächere Wohnungsproduktion vermehrt Engpässe bzw. diese werden weiter verschärft. Man kann es auch anders ausdrücken: Wenn die Bautätigkeit zurückgeht, produzieren wir uns damit die Wohnungsengpässe der Zukunft“, so Prof. Stephan Kippes.
* Dargestellt sind alle genehmigten Wohnungen in neu errichteten Wohngebäuden